Die Entdeckung der Langsamkeit

Sten Nadolny gelang mit seinem zweiten Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ (1983) über die gescheiterte Expedition des britischen Seeoffiziers John Franklin zur Entdeckung der Nord-West-Passage der Durchbruch als Schriftsteller.

Inhalt: Der Roman erzählt das Leben des englischen Seefahrers und Nordpolforschers John Franklin (1786-1847), der schon als Jugendlicher an Seeschlachten teilnahm (Kopenhagen 1801, Trafalgar 1805). Sein Lebensziel war die Entdeckung der Nord-West-Passage nördlich des Nordamerikanischen Festlandes, der Verbindung von Atlantik und Pazifik. Nach zwei Arktisexpeditionen war Franklin kurzzeitig Gouverneur in Australien, bevor er auf der dritten Forschungsreise einen Schlaganfall erlitt und mit seiner Mannschaft im ewigen Eis starb.

Die Entdeckung der Langsamkeit ist zugleich Abenteuer- wie Entwicklungsroman. Nadolny greift die biografischen Fakten aus dem Leben Franklins auf, ergänzt das Porträt des Kapitäns jedoch um einen wesentlichen Punkt: Franklin ist ein langsamer Mensch, im Denken, Sprechen und Handeln, eigentlich zu langsam für die moderne Zeit der industriellen Revolution. Die vermeintliche Schwäche des Außenseiters wird jedoch als Ausdauer, Gründlichkeit und Gelassenheit zur Stärke.

Franklin entzieht sich der Beschleunigung des Zeitalters und setzt ihr seine Haltung und Anschauung entgegen, nach der jedes Individuum seinen Fähigkeiten entsprechend einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten kann. Damit ist er zugleich Kritiker der modernen Zivilisation wie als Forscher deren typischer Vertreter. Franklins Langsamkeit erscheint geradezu als Voraussetzung für eine humane Gesellschaft, getragen vom Respekt der Menschen untereinander und einem verantwortungsvollen Umgang.

Sein Prinzip bewährt sich sowohl auf der Polarexpedition wie in der Liebe. Zum Scheitern verurteilt ist lediglich sein Versuch, sein Vorgehen als Gouverneur einer Strafkolonie in der Politik einzuführen. Dennoch bleibt letztlich die Botschaft, dass seine umsichtige, bedächtige Art zum Frieden zwischen den Menschen und Völkern beiträgt.

Wirkung: Bereits drei Jahre vor Veröffentlichung des Romans verlieh die Klagenfurter Jury Nadolny für das fünfte Kapitel den Ingeborg-Bachmann-Preis. Die Entdeckung der Langsamkeit gilt bei Kritik und Publikum als das beste Werk des Autors und wurde in alle Weltsprachen übersetzt.

Der Autor: Nadolny, Sohn des Autorenpaars Isabella und Burkhard Nadolny, studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Tübingen, Göttingen und Berlin. 1976 promovierte er mit einer Arbeit über „Abrüstungsdiplomatie in der Weimarer Republik“. Seine Tätigkeit als Studienrat gab er bereits 1977 wieder auf und arbeitete anschließend als Aufnahmeleiter beim Film. Nadolny plante eine Karriere als Regisseur, bevor er 1980 freier Schriftsteller wurde.

Auf der Grundlage eines von ihm verfassten Drehbuchs entstand sein erster Roman „Netzkarte“ (1981), der die großen Erwartungen der literarischen Öffentlichkeit nach dem Gewinn des Ingeborg-Bachmann-Preises 1980 etwas enttäuschte.

Sten Nadolny – * 29.7.1942 in Zehdenick / Havel Nach „Die Entdeckung der Langsamkeit“ gelangen Nadolny mit „Selim oder die Gabe der Rede“ (1990) und „Ein Gott der Frechheit“ (1994) weitere Publikumserfolge.

Quelle: Harenberg – Das Buch der 1000 Bücher, Meyers Lexikonverlag